Zeitgleich mit der Einführung der Schulform „Oberschule“ heißt die ehemalige Haupt- und Realschule Jever jetzt Elisa-Kauffeld-Oberschule. Von der Idee bis zur tatsächlichen Namensgebung dauerte es zweieinhalb Jahre.
45 Jahre lang war die Schule ohne einen Namen ausgekommen. Bis 1966 gab es noch die Volksschule, die in Jever aber in eine Stadtknaben- und eine Stadtmädchenschule aufgeteilt war. Daraus wurde in den sechziger Jahren die Hauptschule Jever, die in den siebziger Jahren um die Orientierungsstufe ergänzt wurde. Sie befand sich in unmittelbarer Nachbarschaft zur Realschule Jever. Mit der Selbständigkeit dieser beiden Schulen war es 2004 vorbei, nachdem die Orientierungsstufen landesweit aufgelöst wurden. Der Landkreis Friesland als Schulträger beschloss, beide Schulen zu einer zusammengefassten Haupt- und Realschule unter einem Dach zu fusionieren. In 2010 gab es erste Überlegungen: Die „No name“-Schule sollte einen Namen erhalten, das war schließlich Konsens aller in der Schule Tätigen. Unverwechselbar sollte er sein und drei Anforderungen erfüllen: Der Namensgeber musste sich für Werte wie Frieden, Freiheit und Demokratie eingesetzt und damit Vorbildcharakter für die Schülerinnen und Schüler haben und er musste aus der Region kommen. Der Schulträger signalisierte Zustimmung zu diesem Vorhaben.
Die Schule begab sich auf den Weg der Namenssuche.
Schülerinnen und Schüler, Eltern, Kolleginnen und Kollegen gaben ihre Vorschläge ab und auch die örtliche Presse, das „Jeversche Wochenblatt“, konnte für diesen Prozess gewonnen werden, denn man wollte die Namensfindung auf möglichst breite Füße stellen und die Bevölkerung Jevers einbinden. Schließlich ging es um eine „ihrer“ SEK-I-Schule in Jever. Anfang 2011 rief die Zeitung ihre Leserschaft auf, sich an der Suche zu beteiligen. Auf diese Weise kamen insgesamt mehr als 30 ernst zu nehmende Namensvorschläge zusammen, die allerdings nicht alle den genannten Anforderungskriterien genügten. Der Schulvorstand zog nach langen Beratungen sechs von diesen Vorschlägen in die engere Wahl:
- Oswald Andrae (1926-1997), jeverscher Schriftsteller, der sich, politisch engagiert, für Umweltschutz und Abrüstung und nicht zuletzt für eine kritische Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte einsetzte.
- Hermann Gröschler (1880-1944), Vorsteher der jüdischen Synagogengemeinde in Jever
- Elisa Kauffeld (1913-2012), Friedensaktivistin und Atomkraftgegnerin aus Sillenstede
- Fritz Levy (1901-1982), NS-Verfolgter, letzter überlebender jüdischer Einwohner der Stadt, jeversches Original und zuletzt Ratsherr
- Johann Lünemann sen. (1888-1967), hisste 1945 die weiße Fahne auf dem jeverschen Schloss, war später Vorsitzender des Bürgervereins
- Heinrich Ommen (1874-1959), Lehrer am Mariengymnasium Jever, NS-Gegner, Liberaler, Oldenburgischer Landtagsabgeordneter.
In einer Projektwoche im Oktober 2011 befasste sich die Klasse 10bR mit ihrer Klassenlehrerin Katja Minssen in sechs Gruppen mit Recherchen zu diesen sechs Personen, befragte dazu auch viele Jeveraner (als einziger noch lebender potentieller Namensgeber konnte Elisa Kauffeld dabei persönlich befragt werden), bereitete Präsentationen vor und gab dadurch Argumentations- und Entscheidungshilfen für den bevorstehenden Abstimmungsprozess in der Schule.
Der begann mit verschiedenen Informationsveranstaltungen einen Monat später. Souverän präsentierten die Projektgruppen die Ergebnisse ihrer Recherchen in einer Gesamtkonferenz, allen Schülern in drei Jahrgangsversammlungen und in einer Elternvollversammlung. Zeitnah fanden daraufhin im Lehrerkollegium, in allen Klassen und in der Elternschaft getrennt voneinander die Abstimmungen über die zur Wahl stehenden sechs Personen statt. Das Ergebnis war eindeutig: mit deutlicher Mehrheit in allen drei an der Schule beteiligten Gruppen wurde Elisa Kauffeld als Namensgeberin für die neue Oberschule in Jever gewählt.
Elisa Kauffeld
„Wenn du den Frieden willst, musst du den Frieden vorbereiten“, schrieb sie damals auf eine der Ausstellungstafeln. Sie selbst hatte bis an körperliche und psychische Belastungsgrenzen dafür gearbeitet. Die Fotos von ihr als weißhaarige Frau, die bei einer Sitzblockade von Polizisten weggetragen wird und sich später vor Gericht wegen Nötigung verantworten muss, gingen bundesweit durch die Medien.
Geboren am 17. Oktober 1913 in London verbrachte sie ihre ersten Lebensjahre im Schwarzwald und erinnerte sich noch immer an die Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg, die am Esszimmerfenster vorbeimarschierten. Die Familie zog nach Bremen, wo Elisa zur Schule ging und mit fünf Geschwistern aufwuchs. Sie lebte als Au-pair mehrere Jahre in der Schweiz und in England, bevor die Lufthansa sie als erste Stewardess einstellte. Dort lernte sie ihren Mann kennen; inzwischen war der Zweite Weltkrieg ausgebrochen. Mitten im Bombenalarm brachte sie 1940 ihr Baby zur Welt. 1942 stürzte ihr Mann mit dem Flugzeug ab. Voller Trauer um ihn und voller Sorge um den kleinen Sohn kämpfte die junge Frau täglich ums Überleben im Krieg. Sie heiratete ein zweites Mal, bekam zwei weitere Kinder.
Die Brutalität der Kriege, die damit verbundenen Todesängste hatten sich Elisa Kauffeld unauslöschlich eingebrannt. Ende der 70er Jahre, als ihre Kinder erwachsen waren und sie von ihrem zweiten Mann getrennt, begann sie sich als Pazifistin zu engagieren. Aufgrund des Nato-Doppelbeschlusses, bei dem es um die Aufstellung US-amerikanischer Atomraketen in Westeuropa und auch in der Bundesrepublik ging, bildete sich auch die Friedensinitiative Jever-Schortens. Elisa Kauffeld war Mitbegründerin, später der Motor.
Frei von beruflichen und familiären Verpflichtungen machte sich die zierliche Rentnerin an die Arbeit, die künftig ihr Leben bestimmen sollte. Sie lud zur Teilnahme an Ostermärschen ein, organisierte Infostände, entfachte politische Diskussionen in der Presse und machte in der Öffentlichkeit als „Demo-Oma“ Furore. In ihrem kompromisslosen Wirken für eine Welt ohne Waffen polarisierte Elisa Kauffeld. Die Menschen bewunderten, belächelten, beschimpften, drohten Elisa Kauffeld. „Das war nicht immer leicht auszuhalten“, gab sie einmal zu. Dennoch hat sie ihre Überzeugung nie geleugnet. Im April 86, zwei Tage nach dem Super-Gau in Tschernobyl, nahm sie an einer Seniorenblockade in Mutlangen teil, wo Nato-Atomraketen lagerten. Von da an blockierte sie mindestens einmal im Jahr die Zufahrten zu Massenvernichtungslagern, in Ludwigswinkel gegen Giftgas, in Bonn vor den Botschaften der Atombombentestländer, in Büchel gegen US-amerikanische Atombomben. Als sie sich in Gorleben Protesten gegen Atomtransporte anschloss, traten Polizisten mit Füßen nach ihr.
Mehrfach stand sie wegen zivilen Ungehorsams vor Gericht, wurde zu Geldstrafen und gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Die verheerenden Wirkungen der Atomwaffen auf menschliches Leben hätten ihr keine andere Wahl gelassen, als nach Ausschöpfung anderer Mittel zivil ungehorsam zu werden, formulierte sie einmal vor Gericht. Wie viele ihrer Mitstreiter riskierte sie immer wieder Gefängnis. Doch die Initiativen der Friedensgruppen waren erfolgreich. Nach politischen Vereinbarungen Ende der 80er Jahre wurden die Atomraketen abgezogen und verschrottet, auch die in Mutlangen. „Eine gewisse Befriedigung“ habe sie damals empfunden, Freude nach den Jahren des Widerstands. (Sitzblockaden sind seit 1995 übrigens straffrei …)
Es folgte jetzt der offizielle Antrag der Schule an den Schulträger, eine der Abstimmung entsprechende Namensgebung zu beschließen. Im Februar 2012 stimmte der Schulausschuss des Landkreises Friesland einstimmig zu, wenig später auch der Kreistag bei Enthaltung der CDU-Fraktion. Somit war der Weg frei für die Benennung zur „Elisa-Kauffeld-Oberschule“. In Angriff genommen wurde jetzt die Planung einer Veranstaltung zur Namensgebung am 14. Juni, in die auch Elisa Kauffeld selbst, die ihre Wahl übrigens mit sehr großer Freude aufgenommen hatte („Womit hab‘ ich das bloß verdient?“), und ihre Tochter mit eingebunden wurden. Eine Arbeitsgruppe des Kollegiums half tatkräftig mit, das Programm zu planen und Wegbegleiter sowie Gäste aus Politik und Verwaltung einzuladen.
Leider war es Elisa Kauffeld nicht mehr vergönnt, an der Feier zur Namensgebung „ihrer“ Schule teilzunehmen. 98-jährig verstarb sie am 16. Mai in ihrem Haus in Sillenstede. An der bewegenden Trauerfeier in der St. Florian-Kirche nahmen Delegationen der Schüler- und Elternschaft sowie des Kollegiums der Schule teil.
Mit dem Einverständnis der Hinterbliebenen wurde am 14. Juni als Termin für die Namensgebung festgehalten. Und es wurde eine würdevolle Veranstaltung. Rund 200 Menschen waren gekommen, darunter enge Freunde, Weggefährten und die Familie der Verstorbenen. Erinnerungen an Elisa Kauffeld waren es denn auch, die sich wie ein roter Faden durch die gesamte zweistündige Feierstunde zogen. Jeder hatte sie auf seine Weise gekannt – Landrat Sven Ambrosy genauso wie der „Laway“-Sänger Gerd „Ballou“ Brandt, die Tochter Gisela Janssen ebenso wie die Friedensaktivistin und Wegbegleiterin Ingrid Donk und Schulleiter Wolfgang Niemann-Fuhlbohm.
Elisa Kauffeld habe sich in ihrem Engagement um die Menschenrechte immer im Spannungsfeld zwischen gesetzlichen Rechtsnormen und Gerechtigkeitsnormen, denen sie sich ihrem Gewissen gegenüber verpflichtet fühlte, befunden. „Und sie hat sich für ihr Gewissen entschieden“, sagte Regierungsschuldezernent Dr. Ralf Drabent. Beeindruckt von den Gesprächen, die sie im Zuge ihrer Recherchen in der Projektgruppe mit Elisa Kauffeld geführt hatten, zeigten sich die Schülerinnen Marina Babatz, Annika Kaehler, Hilke Ihmels und Kira Patelt. Sie sei eine kluge, internationale, durchsetzungsstarke Frau gewesen, meinte Sven Ambrosy, die ihre Meinung mit starken Argumenten immer und überall vertreten habe. „Es war oft schwer, ihr etwas entgegenzusetzen.“ Krieg sei die unwürdigste Form zwischenmenschlicher Konfliktlösung, führte Gisela Janssen aus, „der Einsatz für den Frieden ist ein Weg, den es sich für junge Menschen zu gehen lohnt.“ Sie sei ein Vorbild aus der Region, so Wolfgang Niemann-Fuhlbohm, und dürfe als Person nicht in Vergessenheit geraten. Die Schule wolle auch konzeptionell an die Ideale ihrer Namenspatin anknüpfen und habe deswegen ein Leitbild erarbeitet und beschlossen. „Ein bloßes Anhängen eines Etiketts reicht uns nicht.“ Sehr persönliche Erinnerungen kamen bei Ingrid Donk hoch: „Sie hat immer um die Wahrheit gestritten und ihren Teil zum großen Frieden dazugegeben. Es war ihre Aufgabe, das zu verkünden, was nicht mehr geschehen darf.“ Die Schule sei nun in der Verpflichtung, die Ideale von Elisa Kauffeld weiter zu thematisieren und in ihrem Sinne zu handeln.
Umrahmt wurden die Redebeiträge von musikalischen Beiträgen der Gruppe „Laway“ und Schülerinnen und Schülern des WPK Musik der Schule. Zum Schluss des offiziellen Festakts wurden 98 blaue Luftballons mit der weißen Friedenstaube darauf als „Gruß an Elisa Kauffeld“ in den Himmel geschickt.
Im Herbst diesen Jahres will man an der Elisa-Kauffeld-Oberschule einen besonderen Gedenktag begehen: am 17. Oktober wäre Elisa Kauffeld 100 Jahre alt geworden …
von: Klaus Blume-Wenten
Quelle: Leuchtturm (Zeitschrift der Bildungsgewerkschaft in Ost-Friesland), Nr. 116, 2. September 2013, 35. Jhrg.